Strahlend blauer Himmel und ein Biergarten im Münchner Umland – bessere Voraussetzungen hätte das Treffen von Präsidiumsmitglied Thomas Weiland mit Reinhold Gensert, dem letzten noch lebenden Mitglied von Viktorias Hessenpokalsiegermannschaft und Landesliga-Meistermannschaft von 1958, nicht haben können.
Und Gensert, den alle nur „Die Bomb“ nannten und immer noch nennen, hat viel zu berichten von seinen Anfängen in Viktorias Schülermannschaften und den Goldenen 1950er Jahren.
„Ich bin ja ein gebürtiger Eppertshäuser, mein Vater war Urberacher. Aber in Eppertshausen konnte ich keinen Fußball spielen. So bin ich mit dem Fahrrad durch den Wald zum Sportplatz gefahren und habe den Jugendtrainer Paul Hoppe-Slopianka gefragt, ob ich mitspielen darf. Mein Urberacher Cousin Wilfried Gensert war auch schon Spieler in der Mannschaft und so durfte ich mitmachen. Woher der Name Bomb kommt kann ich nicht sagen, weil bereits mein Vater so genannt wurde. Ich habe eine Ausbildung zum Maschinenschlosser gemacht und musste jeden Morgen um halb fünf aufstehen um den Zug nach Frankfurt zu bekommen. Dann bin ich um halb sieben abends nach Hause gekommen und direkt zum Training nach Urberach gefahren. Das war schon anstrengend aber es hat viel Spaß gemacht.“
Auch sein erstes Spiel für die Seniorenmannschaft der Blauweißen ist ihm sehr gut in Erinnerung geblieben.
„Wir haben zuhause gegen den KSV gespielt und ich habe das entscheidende Tor zum 1:0-Derbysieg gemacht. Da war ich 16 Jahre alt und meine Eltern sowie ein Arzt mussten schriftlich einwilligen, dass ich drei Spiele bei den Aktiven machen darf. Das war im Februar und danach sind wir ins KSV-Volkshaus zum Maskenball gegangen. Die Besucher von Seiten des KSV waren darüber aber nicht sehr erfreut und haben uns zu verstehen gegeben, dass wir dann besser wieder gehen sollten.“
Und auch beim zweiten Einsatz für die Viktoria stand Gensert im Fokus.
„Das war bei Hassia Dieburg. Da habe ich in der ersten Halbzeit ein Tor gemacht. Bei einem Zweikampf in der Luft habe ich dann einen Schlag auf den Kopf bekommen und bin bewusstlos in die Kabine gebracht worden. Zum Glück war ein Masseur der Frankfurter Eintracht vor Ort und hat sich um mich gekümmert. Er hat gesagt ich soll mir mit dem rechten und linken Zeigefinger mal an die Nase fassen, was auch geklappt hat. Danach bin ich wieder auf’s Feld und habe mein zweites Tor erztielt. Sowas wäre heute wahrscheinlich undenkbar.“
Aber auch an andere Spiele erinnert sich Gensert gerne.
„Wir haben in Erbach in der Bezirksliga vor 4000 Zuschauern gespielt. Das war schon eine atemberaubende Kulisse, wenn man das mit den Zuschauerzahlen in der gleichen Klasse heute vergleicht. Aber besonders elektrisierend waren die Aufstiegsspiele zur Hessenliga gegen den FV Horas, Olympia Lorsch und Germania Wiesbaden. Da haben wir dann den Aufstieg zur Hessenliga geschafft. Meine Stammposition war Rechtsaußen aber ich konnte auch links spielen, weil ich beidfüßig war. Auf der Mittelstürmerposition wurde ich auch oft eingesetzt.“
Und feiern konnten die Viktorianer nach Heim- und Auswärtsspielen natürlich auch kräftig.
„Wir sind ja zu jedem Auswärtsspiel mit dem Bus gefahren. Da wurde auf der Rückfahrt viel gesungen, weil wir ja auch länger unterwegs waren. Zurück im Ort ging es dann meistens von der einen Wirtschaft zur nächsten. Vor allem nach den Heimspielen wurde viel gefeiert.“
Über die innerörtliche Rivalität zwischen Viktoria und KSV konnte der Wahl-Münchner auch einige Anekdoten zum besten geben.
„Wir haben mal beim KSV gewonnen und ich bin dann mit meiner damaligen Freundin und späteren Frau, die aus der Metzgerei Schließmann stammte, die Bahnhofstraße hochgelaufen. Da kam uns die Mutter eines KSV-Spielers entgegen und bepöbelte meine Frau mit den Worten „bei eisch kaafe mer nix meh!“.
Man merkt dem ehemalige Offensivspieler an, dass er sehr wehmütig ist, das letzte Mitglied der Hessenpokal-Helden zu sein.
„Nachdem der Oskar Lotz im Januar verstorben ist bin ich das letzte noch lebende Mitglied dieser großartigen Mannschaft. Ich denke gerne an diese Zeit zurück. Es war eine andere Zeit als heute. Wir kamen ja bis auf ganz wenige Ausnahmen alle aus einem Ort und da war eine unglaubliche Kameradschaft vorhanden. Die Spieler haben ihr ganzes Fußballerleben für die Viktoria gespielt. Ans wechseln hat da niemand gedacht.“
Und was der 87-jährige und seit 1963 in München lebende für Weiland dann noch als Präsent mitgebracht hat lässt sich nur schwer in Worte fassen.
„Ich habe hier über 40 Ausgaben der Sportzeitung „Der Neue Sport“ aus den 1950er Jahren mit vielen Berichten über Viktorias Glanzzeiten. Ich denke, dass sie bei Thomas gut aufgehoben sind.“
Auch für Weiland war es eine besonderes Treffen.
„Es war ein gemütlicher Abend und wir haben viel gelacht. Reinhold ist der Viktoria immer noch sehr verbunden und ein aktiver Kommentator unserer Berichte auf der Vereins-Webseite. Ich freue mich, dass er fit ist und hoffe, dass wir ihn bald mal wieder im Urberacher Waldstadion begrüßen können. Außerdem hat Reinhold einiges an Material für das Viktoria-Museum zur Verfügung gestellt, welches in den kommenden Wochen und Monaten gesichtet und digitalisiert wird. Sobald das abgeschlossen ist, wird es im ViktoriaMuseum hochgeladen.“